Nachdem es in NRW nach jahrelangen Anpassungen weitgehend gelungen war, ein recht gut funktionierendes G8 zu etablieren, erfolgt jetzt wieder die Rolle rückwärts zu G9.
Egal ob der Umstieg insgesamt sinnvoll ist oder nicht, eins ist klar: Die Umstellungsphase wird wieder eine große Herausforderung für die Schulen und Lehrkräfte.
Wir erinnern uns noch, wie der Umstieg von G9 auf G8 erfolgte. Von unten aufbauend wurde die Stundenzahl der Klassen erhöht, bis die Schülerinnen und Schüler die 9. Klasse vollendet hatten. Dann kamen sie gemeinsam mit der 10. Klasse in die EF, der Doppeljahrgang war geboren und endete mit einer nahezu verdoppelten Zahl von Abiturienten drei Jahre später.
Soll dieses Rad nun zurückgedreht werden und analog vorgegangen werden, entsteht, wenn man von unten beginnt, nach 5 Jahren ein Jahrgang ohne Schüler, weil die 9. Klasse nicht in die EF wechselt wie der G8-Vorgängerjahrgang, sondern in die wieder neu gebildete Jahrgangsstufe 10 . Es gibt also keine EF mehr, ein ganzer Jahrgang fehlt. Das ergibt folgende drei Hauptprobleme:
- Eine Wiederholung in dem letzten G8-Oberstufenjahrgang erfordert zwei zusätzliche Jahre
- Realschüler können das Abitur erst nach 14 Jahren erwerben.
- Es gibt einen Gymnasialjahrgang ohne Abiturienten.
Viele Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern werden es nicht hinnehmen, dass z.B. die Wiederholung der Abiturprüfung erst nach zwei Jahren erfolgen kann. Sie werden auf Bestandsschutz klagen und die Schulen werden Lösungen für eine einjährige Wiederholung anbieten müssen. Das Problem dabei ist die Fächerkombination der Wiederholenden. Es wird auch nicht annähernd möglich sein, die nötigen Kombinationen in Kursstärke vorzuhalten, auch wenn man alle Gymnasien einer Kommune zusammenfasst. Es wird also Sonderlösungen geben müssen, die sehr personalintensiv sind.
Auch für Realschulabsolventen wird es schwierig. Mit ihrem qualifizierten Abschluss wollen sie aufs Gymnasium wechseln, finden aber keinen Jahrgang vor. Sollen sie dann die zehnte Klasse des Gymnasiums wiederholen und mit 14 Schuljahren Abitur machen?
Auch die Kommunen als Träger der Gymnasien ist betroffen. Ein Jahrgang mehr braucht auch mehr Räume. Kein Problem wird man denken, denn früher haben die Räume auch ausgereicht. Jetzt ist allerdings die Anzahl der Schüler und Schülerinnen auf Gymnasien gestiegen und es wurden Räume für Mensen und Ganztagsbetreuung verbraucht. Großstädte in Hessen und Niedersachsen haben dieses Problem bereits erkannt.
Auch der Betrieb von Mensen wird schwierig, wenn die Schülerinnen und Schüler kein Mittagessen mehr benötigen.
- Es werden mehr Klassenräume benötigt, als momentan zur Verfügung stehen.
- Mensavereine sind in ihrem Bestand gefährdet.
Wie sieht es nun mit der Lehrkräfteversorgung aus?
Wenn die Umstellung beginnt, werden zunächst kontinuierlich weniger Lehrkräfte benötigt, weil der Unterrichtsumfang abnimmt. Dann ganz plötzlich, wenn der erste G9-Jahrgang in die Jahrgangsstufe 13 kommt, steigt der Bedarf um ca. 10%. Diese sprunghafte Zunahme kann am Arbeitsmarkt nicht umgesetzt werden.
- Es gibt einen Sprung im Lehrkräftebedarf um 10% der schwer zu managen ist.
Auch jede einzelne Schule ist hochbelastet. Zunächst muss sie klären, ob sie bei G8 bleiben will oder nicht. Das ist eine wirklich komplexe und gefühlsbeladene Entscheidung. Wie soll eine einzelne Schule letztendlich wissen was richtig ist, wenn sich Wissenschaftler und Elternverbände in ihren Beurteilungen widersprechen. Außerdem kann die falsche Entscheidung die Existenz einer Schule komplett gefährden. Auch die Angleichung der Lehrpläne wird die Lehrkräfte nicht unwesentlich beschäftigen. Diese Energie könnte fehlen, wenn sich Schulen auch mit digitalen Mitteln weiterentwickeln wollen.
- Die Entscheidung G8 oder G9 wird für jede Schule schwer.
- Die Umstellung des Curriculums erfordert zusätzliche Arbeit und behindert weitere Schulentwicklung
Mein Fazit ist: So leicht wie sich manche den Umstieg von G8 auf G9 vorstellen, ist er nicht. Ganz im Gegenteil: Der Umstieg wird kompliziert und teuer.
Was ist zu tun?
Als erstes glaube ich – schon aus rein rechtlichen Gründen – wird es nicht ohne einen Zwischenjahrgang gehen.
Ein Zwischenjahrgang dient in erster Linie dazu, den Rechtsansprüchen von Wiederholern und Realschulabsolventen gerecht zu werden. Er trägt auch dazu bei, die Unstetigkeit bei den Anzahlen der Abiturienten und beim Lehrkräftebedarf abzumildern. Der Zwischenjahrgang sollte durch alle möglichen Maßnahmen aufgefüllt werden.
Wie sieht das nun ganz praktisch aus?
Der letzte G8 Jahrgang hat bis zum Ende der Klasse 9 keine Wiederholer, so dass dieser Jahrgang möglichst stark die 9. Jahrgangsstufe beendet. Gefährdete Schüler wechseln nach der 9. Klasse in den Zwischenjahrgang, in dem sie nach altem Muster die zentrale Prüfung zum Erwerb des mittleren Schulabschlusses ablegen. Die in Ihrer Schulzeit entstandenen Defizite können in dieser Zeit ausgeglichen werden. Bei einer vierzügigen Schule könnte das eine Klasse sein. Curriculum und Stundentafel sollte den Schulen überlassen werden.
Im Folgejahr würde der Zwischenjahrgang durch Realschulabsolventen, weitere Wiederholer und mögliche Springer aus dem ersten G9 Jahrgang weiter aufgefüllt. Trotzdem kann der neue Jahrgang EF noch keine normale Größe erreichen. Dann muss entweder das Kursangebot gekürzt oder mit anderen Schulen kooperiert werden.
Nun zum Lehrkräftebedarf. Wie ich oben erläutert habe, gibt es einen 10%-Spung bei den benötigten Unterrichtsstunden. Damit Unterrichtsausfall vermieden wird, darf als die Lehrerschaft nicht an den fallenden Bedarf angepasst werden. Zusätzlich müssten endlich Arbeitszeitkonten offiziell eingeführt werden, damit Lehrerstunden im Laufe der Jahre angespart werden können, um den plötzlichen Bedarf abzumildern. In der Summe wird man für die Umstellungsphase mehr Geld für Lehrkräfte in die Hand nehmen müssen.
Teuer wird es auch für die Kommunen. G9 braucht mehr Platz als G8. Heute sind wegen der steigenden Übergangszahlen die Gymnasien voll besetzt. Einige Klassenräume sind für Mensen geopfert worden. Es werden als Klassenräume neu benötigt. Es muss also neu gebaut werden. Der Aufwand wird in Niedersachsen derzeit auf mindestens 35 Millionen Euro geschätzt. In NRW wäre das ein Vielfaches. Ich halte also einen Ausbau der Gymnasien in großem Stil für unrealistisch. Alternativ wird es nur zwei Lösungen geben: Verringerung der Züge an Gymnasien oder effektives Raummanagement. Räume können effektiver genutzt werden, wenn man vom Prinzip eine Klasse – ein Raum abgeht. Auch eine Zeitversetzung einiger Jahrgänge mehr in den Nachmittag könnte helfen.
Nach meinen Erfahrungen im Schulsystem wird wieder das nötige Geld fehlen und die Schulen werden in vielen Dingen improvisieren müssen. Es wird für alle Beteiligte wieder viel Kraft kosten und eins ist für mich sicher: In der Umstellungsphase wird die ganze Schule leiden. Erst in zehn Jahren wird der Umstieg vollständig gemeistert sein.
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