Zehn Jahre ist es erst her, dass Smartphones erfunden wurden, zehn Jahre in dem ein kleines Gerät unsere ganze Lebenswelt verändert hat – nur die Schule nicht.
Natürlich ist diese Revolution nicht an unseren Kindern vorbeigegangen. Heute hat nahezu jedes zehnjährige Kind ein Smartphone. Damit hat dieses Gerät – rein physisch – auch Einzug in unsere Schulen genommen.
Die erste Reaktion darauf war ein generelles Verbot, das heute noch im Bundesland Bayern an allen Schulen gilt.
Es gibt gute Gründe, gegen eine Handynutzung zu sein, aber ein Verbot ist schon allein deshalb Augenwischerei, weil es sich nicht durchsetzen lässt. Man müsste in Pausen und Freistunden neben jeden Schüler und neben jede Schülerin eine Lehrkraft stellen, um sie zu kontrollieren. Verstöße wären an der Tagesordnung und Schulen müssten mit massiven Sanktionen drohen, um die Nutzung einigermaßen in den Griff zu bekommen. Lehrkräfte werden in eine Polizistenrolle gedrängt, die letztendlich viel Kraft und Ärger bedeutet und das Lernklima generell beeinträchtigt. Deshalb werden die meisten Lehrkräfte früher oder später wegschauen. Andere werden den Kampf weiterführen, was zu Spannungen im Lehrerkollegium führt.
Im Unterricht ist ein Verbot besser durchsetzbar, weil die Lehrkraft einen direkten Zugriff auf den Verursacher hat. Trotzdem werden Smartphones unter der Bank benutzt, ohne dass die Lehrkraft etwas mitbekommt. Es sind schon ganze Unterrichtsstunden unbemerkt gefilmt worden. Deshalb heißt meine erste These.
Ein generelles Verbot von Smartphones an Schulen ist nicht durchsetzbar und gefährdet sogar den Schulfrieden in erheblichen Maß.
Bevor man jetzt von Kapitulation spricht, lohnt es sich genauer hinzuschauen, was eigentlich die Gefahren sind, vor denen man sich mit dem Handyverbot schützen will.
Das Anschauen von jugendgefährdenden Filmen: Ist jenseits der Schulgeländes leichter möglich, weil die soziale Kontrolle der Mitschüler fehlt.
Missbrauch von Filmaufnahmen aus dem Schutzraum Schule: Lässt sich durch ein Nutzungsverbot nicht verhindern, weil es immer verdeckt geschieht.
Beeinträchtigung der Kommunikation: Ist denkbar, aber die Realität zeigt nach wie vor Schülerinnen und Schüler, die in den Pausen lebhaft kommunizieren mit und ohne Smartphone.
Ablenkung im Unterricht: Eine von vielen Möglichkeiten, die immer dann gravierend werden, wenn der Unterricht schlecht ist.
Zusammenfassend lautet meine zweite These:
Die Gefahren einer Smartphonenutzung werden überbetont.
Ich kenne viele Schulen, die in enger Zusammenarbeit mit der Schülervertretung schulinterne Regelungen zur Smartphonenutzung entworfen haben. Dabei ergab sich immer, dass ein breit angelegtes Konzept zur Mediennutzung initiiert wurde (Medienscouts, Aufklärungs-Veranstaltungen für Schülerinnen und Schüler sowie Eltern, Integration der Medienproblematik in den Unterricht). Besser als ein Verbot ist also Aufklärung und, falls wirklich gravierender Missbrauch vorkommt, eine konsequente Aufarbeitung und Sanktionierung.
Ich finde es schon sehr erstaunlich, dass wir fast alle Smartphones nutzen, aber in der Schule in erster Linie die Gefahren gesehen haben und nicht nach möglichem Nutzen gefragt haben. Solange nur wenige privilegierte Schülerinnen und Schüler über ein Smartphone verfügten, war die Lage anders als heute. Heute hat es jeder Schüler an einer weiterführenden Schule. Viele Schulen haben WLAN.
Was könnte uns also das Gerät nutzen?
Vor allem anderen könnte es den Schülerinnen und Schülern die wichtigste Grundhaltung beim Lernen vermitteln: Es gibt Hilfe, wenn ich selbst nicht weiterkomme. Was im Alltag längst angekommen ist (Wer singt das Lied? Wann fährt der Bus? Wie repariere ich das Bügeleisen? …), sollte auch für die Schule eine Selbstverständlichkeit werden. Endlich gibt es eine universelle Maschine, mit der man das Resignieren der Schülerinnen und Schüler „Ich kann das nicht“, in ein „ich versuche es mal“ wandeln kann und dass sofort an jedem Ort (mit Netzabdeckung).
Und dabei muss es nicht allein bei Recherchen bleiben. Simulationen spielen für die Naturwissenschaften eine immer interessantere Rolle, Chats kann man auch für den Austausch mit Partnerschulen nutzen, die Kamera ermöglicht es, selbst kreativ zu werden und eine Vielzahl von intelligenten Spielen könnte Abwechslung in den Unterricht bringen. Und die Chance wächst, dass die Jugendlichen auch in der Freizeit das Handy intelligent benutzen.
Weitgehend unterschätzt sind auch die Möglichkeiten für die Schulorganisation. Fortschrittliche Schulen bilden ihre Schule im Internet ab und erzeugen damit eine hohe Identifizierung innerhalb der gesamten Schulgemeinde. Sie organisieren sich online deutlich reibungsfreier. Der aktuelle Stundenplan auf dem Handy sollte ebenso eine Selbstverständlichkeit sein wie Lernplattformen, auf denen Unterrichtsinhalte effizient bereitgestellt und getauscht werden können. Auch die Anwesenheitskontrolle im Unterricht über das Internet, gibt Eltern endlich die Möglichkeit, sich von ihren Kindern die Anwesenheit in der Schule genau und zeitnah belegen zu lassen. Das ist besonders in einer Oberstufe wichtig, die durch das Kurssystem sehr unübersichtlich ist. Außerdem ist die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler nicht mehr volljährig. Erfahrungen zeigen, dass die Fehlstundenquote durch dieses System halbiert werden kann.
Zusammenfassend gilt für mich:
Smartphones sollten auch in der Schule offensiv genutzt werden. Sie können helfen, eine Lernkultur des „Experimentellen Lernens“ zum Durchbruch verhelfen. Darüber hinaus können sie die Kommunikation innerhalb der ganzen Schulgemeinde erheblich verbessern.
Die einzige Situation, in der ich konsequent eine Nutzung ausschließen würde (und auch kann) sind Klassenarbeiten und Klausuren. In dieser Situation ist es einfach zu kompliziert, Funktionalität und Chancengleichheit zu sichern. Außerdem kann man Tests (siehe Zentralabitur) sogar in Informatik so gestalten, dass ein Rechner nicht notwendig ist.
Also nur Mut liebe Schule, öffne die Schatzkiste Smartphone! In 10 Jahren wird man über das Handyverbot an Schulen nur noch ungläubig den Kopf schütteln.
Dieser Artikel ist fast wordgleich erschienen in der Rheinischen Post.
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