Immer wenn jemand Defizite oder vermeintliche Defizite bei Schülerinnen und Schülern feststellt, ist der Ruf nach einem neuen Schulfach da. Im Zuge der allgemeinen Digitalisierung gilt das natürlich auch für Informatik. Dem Ruf „Programmieren für alle“ schließt sich sogar die Kanzlerin Merkel an.
Als Programmierer und Informatiklehrer der ersten Stunde müsste ich jetzt eigentlich freudig in diesen Chor einstimmen. Da bin ich aber sehr zurückhaltend.
Zunächst einmal ist die Grundannahme „wer Programmieren kann, versteht die digitale Welt“ ziemlich naiv. Bevor ich irgend einen Ablauf programmieren kann, muss ich die zugrunde liegende Struktur verstehen. Dazu brauche Grundlagenkenntnisse in den jeweiligen Gebieten und die Fähigkeit zu kommunizieren.
Außerdem werde ich immer nur einen gewissen Ausschnitt der digitalen Welt besser verstehen können, nie das große Ganze. Die Hoffnungen, die man mit Programmieren verbindet sind also völlig überzogen.
Ich habe erlebt, wie schnell sich Programmiertechniken geändert haben. Ganz sicher wird das in 10 Jahren wieder ganz anders aussehen wie heute.
Trotzdem macht es vielen Schülerinnen und Schülern Spaß, einen Computer aufzubauen, eine App für das Smartphone zu programmieren oder Modellroboter bestimmte Aufgaben erledigen zu lassen. Dafür sind freiwillige Angebote am Nachmittag ideal, die man für jede Jahrgangsstufe zuschneiden kann. An kein festes Curriculum gebunden, kann sich eine Schule auf das konzentrieren, was Lehrkräfte oder auch Oberstufenschüler anbieten können. Es kann auch gelingen, Spezialisten aus der Wirtschaft für ein paar Stunden zu gewinnen. Wesentlich kommt es darauf an, den jungen Leuten auf dem Feld der Computer einen Abenteuerspielplatz anzubieten.
Darauf aufbauend wird man in der Differenzierung der Mittelstufe genügend Interessenten finden, um Grundlagen der Informatik zu vermitteln, so dass auch in der Oberstufe Grund- oder sogar Leistungskurse angeboten und gewählt werden.
Ein Pflichtfach „Informatik“ müsste auch mit Schülerinnen und Schülern klar kommen, die sich nicht für diese technische Welt interessieren. Da bräuchte man gute Pädagogen, damit trotzdem etwas hängen bleibt – aber die sind weit und breit nicht in Sicht.
Genau betrachtet ist aber auch jedes Fach und jede Lehrkraft von der digitalen Welt betroffen und muss sich digitalen Zugängen öffnen. Es wäre somit ein großer Fehler, die Digitalisierung auf ein Pflichtfach Informatik abzuschieben. Eine moderne Schule muss sich dieser Entwicklung grundsätzlich stellen.
Die Notwendigkeit für ein neues Pflichtfach sehe ich nicht, ich halte die Forderung sogar für kontraproduktiv. Und für die wesentlichen Grundlagen der Informatik haben wir übrigens schon ein Fach: Mathematik!
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